Die untergehende Sonne wirft ihre orangeroten Strahlen auf die saftige Bergwiese, auf der Dolomilla ein Grasbüschel nach dem anderen verputzt. „Schon bald ist die Sommerfrische auf der Alm wieder vorbei“, denkt sie. Den ganzen Winter hatte sich darauf gefreut, ihren Sommerurlaub hier zu verbringen. Darum möchte sie die letzten Wochen auf der Alm in vollen Zügen genießen – mit Elsa, Lotte, Marie und der Bäuerin! Denn hier oben hat Dolomilla in den letzten Jahren schon so tolle Dinge erlebt: Sie ist auf Erkundungstour gegangen, hat die bunte Regenbogenwiese entdeckt, sich als Nachtgespenst verkleidet und ihre Freundinnen erschreckt. Das war vielleicht ein Spaß! Doch bei all den aufregenden Almabenteuern, freut Dolomilla sich auch über die Dinge, die immer gleichbleiben: Darüber, dass sie die Bäuerin jeden Tag zweimal melkt und sie danach minutenlang krault. Zwischen den Ohren, genau an der Stelle, an die Dolomilla selbst nicht drankommt: nicht mit der Zunge, nicht mit den Hufen.
Als die Bäuerin an diesem Abend mit dem Melkschemel zur Weide schlendert, bringt Dolomilla sich darum sofort in Melkposition, schließt die Augen und streckt der Bäuerin auffordernd den Kopf entgegen. Doch es passiert nichts. Keine Hand, die sie zwischen den Ohren krault. Dolomilla öffnet langsam ein Auge, dann verdutzt das zweite. Da ist niemand mehr! Sie dreht sich um und sieht die Bäuerin neben der braungefleckten Elsa sitzen. Hmpf! Als alle Kühe gemolken sind, fragt Dolomilla ihre Freundinnen: „Hat euch die Bäuerin auch nicht gekrault?“ Die anderen Kühe schütteln betrübt den Kopf. Nur Lotte schaut hoffnungsvoll: „Sicher kommt sie später noch einmal bei uns vorbei. Für eine extra lange Kuscheleinheit.“ Doch sie warten vergeblich. Und auch an den nächsten Tagen verbringt die Bäuerin fast gar keine Zeit mit der Herde. Da ist Dolomilla traurig: Sie hatte sich doch so auf die letzten schönen Tage auf der Alm gefreut. Und jetzt das.
„Versteht ihr, warum die Bäuerin nur noch so wenig Zeit für uns hat?“, fragt sie ihre Freundinnen darum eines Abends. „Ich habe sie in den letzten Tagen beim Grasmähen beobachtet“, sagt Marie und blinzelt mit ihren müden, kugelrunden Kuhaugen. „Und ich habe gesehen, wie sie das Gras gewendet hat, damit es schön trocknet“, sagt Lotte, die sich schon zum Schlafen in die Wiese gekuschelt hat. „Dann macht die Bäuerin jetzt wohl lieber die pieksige Heuarbeit, als sich um uns zu kümmern“, sagt Dolomilla eingeschnappt. Als sie diese Nacht deswegen nicht schlafen kann, fasst Dolomilla einen Entschluss, von dem sie den anderen Kühen am nächsten Tag erzählt. „Wir lassen uns von den Vögeln bunte Blumen hinter die Ohren stecken“, sagt sie, „dann sehen wir so hübsch aus, dass die Bäuerin sicher zu uns auf die Weide kommt!“ Elsa, Lotte und Marie nicken begeistert, rufen die Vögel herbei und weihen sie in ihren Plan ein. Sofort flattern die Vögel los, sammeln die schönsten Enziane und Butterblumen und stecken sie den Kühen ins wuschelige Fell. Die Kühe betrachten das Werk in der spiegelnden Wasseroberfläche des Wassertrogs und sind verzückt über ihren neuen Kopfschmuck: „Fast so schön, wie beim Almabtrieb“, schwärmt Lotte und schlackert freudig mit den Ohren. Mit der Blütenkrone auf dem Kopf treten die Kühe an den Zaun und blicken erwartungsvoll in Richtung der Bäuerin. Doch die ist so in die Heuarbeit vertieft, dass sie die hübsch dekorierte Herde gar nicht wahrnimmt.
„So ein Kuhmist!“, sagt Dolomilla. „Wir müssen lauter sein, damit sie uns bemerkt. Lasst uns ein bisschen Musik machen!“ Sie ruft alle Tiere zusammen – von den Berggipfeln und aus den Wäldern – und gemeinsam stellen sie sich in einem Halbkreis auf. Auf Dolomillas Kommando geht es los: Sie gibt mit stampfendem Vorderhuf den Takt an, die anderen Kühe läuten mit ihren Glocken, die Murmeltiere pfeifen, die Vögel trällern ihre Lieder, die Eichhörnchen keckern und sogar die Eule hat ihr Schläfchen unterbrochen und ruft melodisch. Dolomilla sieht, wie die Bäuerin in der Ferne den Kopf hebt und zu ihnen hinüber blick. „Es klappt!“, jubelt Dolomilla und macht einen Freudensprung. Aber was ist das? Die Bäuerin hat den Blick wieder von den Alm-Musikanten abgewandt und widmet sich erneut der Arbeit: Sie sammelt das trockene Gras und lädt es auf den Anhänger des Traktors.
Doch Dolomilla will noch nicht aufgeben. „Jetzt haben wir schon versucht schöner und lauter zu sein. Vielleicht können wir die Bäuerin beeindrucken, wenn wir uns größer machen“ schlägt Dolomilla vor. „Wie soll das gehen?“, fragt Lotte. „Wir können uns doch nicht auf unsere Hufspitzen stellen.“ Aber Dolomilla hat schon wieder eine Idee: „Wir machen es wie im Zirkus. Wir bauen eine Kuh-Pyramide! Elsa und Lotte, ihr kniet euch auf den Boden und Marie und ich stellen uns mit den Vorderhufen auf eure Hinterteile.“ Elsa und Lotte schauen skeptisch. „Meinst du das klappt?“ und „Tut das nicht weh?“, fragen sie. „Ach, papperlapapp“, ruft Marie „wir probieren es!“ Nachdem Dolomilla ihren zweiten Vorderhuf ganz behutsam auf Elsas Hintern platziert hat, macht sie sich ganz groß und streckt ihre Schnauze in die frische Bergluft. Ein Schmetterling flattert um sie herum und setzt sich direkt auf ihre Nasenspitze. Da muss Dolomilla lächeln und muht vergnügt. Doch da hört sie Maries Stimme: „Die Bäuerin arbeitet einfach weiter. Sie sieht unser Kunststück gar nicht.“ Da wird Dolomilla ganz traurig und steigt von Elsas Rücken. Sie weiß nicht mehr weiter. „Die Bäuerin hat uns wohl einfach nicht mehr lieb“ sagt sie und trottet mit hängendem Kopf in eine Ecke der Weide. Sie möchte jetzt lieber allein sein.
Als die Bäuerin an diesem Abend zum Melken kommt, ignorieren Dolomilla und ihre Freundinnen sie und würdigen sie keines Blickes. Leicht fällt ihnen das allerdings nicht. Sie mögen ihre Bäuerin ja trotz allem noch. Doch am nächsten Morgen erwacht Dolomilla auf der taunassen Wiese, weil sie glaubt, im Traum die Stimme der Bäuerin gehört zu haben. Ganz nah. Verdutzt schlägt sie die Augen auf. Und tatsächlich: Die Bäuerin kniet neben ihr. Sie krault sie zwischen den Ohren! „Guten Morgen, Dolomilla, hast du gut geschlafen? Ich bin gestern endlich mit der Heuarbeit fertig geworden. Jetzt haben wir genug Heu, um euch auch im Winter satt zu bekommen. Denn ich weiß ja, wie gut dir die getrockneten Gräser und Kräuter schmecken.“ Dolomillas Augen weiten sich – jetzt wird ihr alles klar: Die Bäuerin hatte in den letzten Tagen nur so wenig Zeit für sie, weil sie das leckere Heu für den Winter vorbereitet hat. Um ihr damit eine Freude zu machen! Vor lauter Dankbarkeit stupst sie die Bäuerin mit der Schnauze an und schleckt ihr über die Hand.
„Na komm“, sagt die Bäuerin. Sofort springt Dolomilla auf – bereit, den schönsten Tag des ganzen Sommers auf der Alm zu verbringen. Gemeinsam mit der Bäuerin und den anderen Kühen genießt sie die Sonne, liegt im Gras, beobachtet fliegende und krabbelnde Insekten, schnuppert an den duftenden Wildblumen. „Was für ein herrlicher Sommer. Hoffentlich bleibt bis zum Almabtrieb jeder Tag so wunderschön wie dieser“, denkt Dolomilla, während sie gegen eine Pusteblume schnaubt. Und getragen von den Samen des Löwenzahns, denen Dolomilla beim Davonfliegen nachsieht, geht ihr Wunsch in Erfüllung.